Montag, 10. Januar 2005
Raum als Geformtes oder Gegebenes?
philo, 12:24h
Hans Ulrich Gumbrecht, Literaturwissenschaftler an der Stanford University, bekanntlich meinungsstark, war wohl jüngst in Japan. Jedenfalls hat ihn das Land Japan zu einer Reflexion über die Formung des Raums angeregt, die in der heutigen Ausgabe der NZZ erschienen ist.
"Wer zum ersten Mal nach Japan reist, wird eine erstaunliche Raumerfahrung machen. Er kann entdecken, wie der erste Eindruck des einmalig Anderen in der japanischen Kultur aus einer Vielzahl von Praktiken entsteht, die darin übereinstimmen, dass sie Raum formen und mit Raum spielen, statt ihn bloss als etwas Gegebenes hinzunehmen."
Ohne selbst je in Japan gewesen zu sein und ohne den phänomenologischen Bestand Gumbrechts anzuzweifeln, muß ich doch die Frage stellen, ob die Grundthese, Europäer und Amerikaner nähmen den Raum als etwas "Gegebenes" hin, nicht von vorneherein verfehlt ist. Wenn der "topographical turn" (Sigrid Weigel) in den Kultur- und Sozialwissenschaften einen Grundzug aufweist, so ist es doch der, daß Raum eben nicht als etwas bloß Gegebenes/Vorhandenes, sondern als Praxis betrachtet wird; die Soziologin Martina Löw spricht hier von Spacing. Theoretische Modelle einer Raumpraxis haben unter anderem geliefert: Michel de Certeau, Henri Lefevbre und Michel Foucault. Die Aufzählung ist nicht erschöpfend.
Nun kommt also Sepp Gumbrecht und erfindet das Rad neu und bedient das Exotismus-Register: "Man könnte die unter dem Totalitätsanspruch des Raums sich entfaltende japanische Kultur eine «Kultur des Erscheinens» nennen - oder genauer: eine Kultur der Inszenierung von Erscheinungen." Freilich könnte man auch (wie etwa Günter Seubold in seinem Buch Japanuskopf, Bonn: DenkMal Verlag 2002) Japan auch als hypermoderne Vorwegnahme westlicher Gesellschaften lesen. Dann sind die von Gumbrecht gemachten Beobachtungen in dem Sinne nützlich, daß sie das, was sich hierzulande abzeichnet, wie in einem Brennglas verstärken: Ist denn nicht auch unsere Kultur eine "Kultur des Erscheinens"?
"Wer zum ersten Mal nach Japan reist, wird eine erstaunliche Raumerfahrung machen. Er kann entdecken, wie der erste Eindruck des einmalig Anderen in der japanischen Kultur aus einer Vielzahl von Praktiken entsteht, die darin übereinstimmen, dass sie Raum formen und mit Raum spielen, statt ihn bloss als etwas Gegebenes hinzunehmen."
Ohne selbst je in Japan gewesen zu sein und ohne den phänomenologischen Bestand Gumbrechts anzuzweifeln, muß ich doch die Frage stellen, ob die Grundthese, Europäer und Amerikaner nähmen den Raum als etwas "Gegebenes" hin, nicht von vorneherein verfehlt ist. Wenn der "topographical turn" (Sigrid Weigel) in den Kultur- und Sozialwissenschaften einen Grundzug aufweist, so ist es doch der, daß Raum eben nicht als etwas bloß Gegebenes/Vorhandenes, sondern als Praxis betrachtet wird; die Soziologin Martina Löw spricht hier von Spacing. Theoretische Modelle einer Raumpraxis haben unter anderem geliefert: Michel de Certeau, Henri Lefevbre und Michel Foucault. Die Aufzählung ist nicht erschöpfend.
Nun kommt also Sepp Gumbrecht und erfindet das Rad neu und bedient das Exotismus-Register: "Man könnte die unter dem Totalitätsanspruch des Raums sich entfaltende japanische Kultur eine «Kultur des Erscheinens» nennen - oder genauer: eine Kultur der Inszenierung von Erscheinungen." Freilich könnte man auch (wie etwa Günter Seubold in seinem Buch Japanuskopf, Bonn: DenkMal Verlag 2002) Japan auch als hypermoderne Vorwegnahme westlicher Gesellschaften lesen. Dann sind die von Gumbrecht gemachten Beobachtungen in dem Sinne nützlich, daß sie das, was sich hierzulande abzeichnet, wie in einem Brennglas verstärken: Ist denn nicht auch unsere Kultur eine "Kultur des Erscheinens"?
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jorge,
Montag, Januar 17, 2005, 02:25
Lost in Translation war gestern
Ich habe den Artikel gerade erst jetzt gelesen und kann's mir nicht verkneifen, auch ein ein wenig zu mitzulästern: Es gehört schon ein recht dickes Fell dazu, erst einmal "Kulturtouristen" und deren westliche Interpretationswut abzubürsten, um schließlich den Paradefall für die Intensität japanischer Räume ausgerechnet im Baseball-Stadion bei den "Hanshin-Tigers" ausfindig zu machen - "Lost in Translation" war gestern, heute sind wir "kollektiver Körper", der "alle Individualität glücklich absorbiert". Mir läuft's bei dieser Wut der Präsenz, ganz egal wo und wie, kalt den Rücken herunter.
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